Lichter für die Toten
Wer in den Abendstunden des 1. und 2. November die letzten Ruhestätten seiner Angehörigen besucht, dem bietet sich - vor allem in katholischen Gegenden - ein beeindruckendes Bild. Denn an Allerseelen werden die Friedhöfe von Hunderten von sogenannten "Seelenlichtern" beleuchtet. Dies ist das feierliche Ende eines kirchlichen Doppelfestes, das am 1. November mit Allerheiligen beginnt.
Manfred Becker-Huberti und Ulrich Lota sprechen in ihrem Handlexikon "Katholisch A-Z" unter dem Stichwort "Allerheiligen" von einem "Sammelfest für alle Heiligen" am 1. November. Papst Gregor IV. setzte das Fest bereits um das Jahr 835 ein. Mit diesem Hochfest gedenkt die Kirche bis heute nicht nur der vom Papst heiliggesprochenen Frauen und Männer, sondern auch jener Menschen, die ihren Glauben eher unspektakulär und still gelebt und ihr Christentum konsequent verwirklicht haben. Doch was heißt das genau?
Um zu verstehen, wen und was die katholische Kirche am 1. November feiert, muss man erst einmal den Heiligenbegriff etwas genauer betrachten. Der Theologe Ulrich Lüke bezeichnet Heilige als Menschen, "die dem Vorbild Christi besonders gefolgt sind und durch das Vergießen ihres Blutes (Märtyrer) oder durch heroische Tugendübung (Bekenner) ein hervorragendes Zeugnis für das Himmelreich abgelegt haben". Lüke betrachtet Heilige als "eine Art überzeitliche und transnationale Eingreiftruppe Gottes". Nach der heiligen Mutter Teresa wiederum bedeutet heilig sein, Gott zu erlauben, "sein Leben in uns zu leben".
Erweiterter Heiligenbegriff
Die aus dem Apostolischen Glaubensbekenntnis bekannte "Gemeinschaft der Heiligen" bezog sich ursprünglich auf diejenigen, die am Heiligen - also an der Eucharistie - teilhaben, folglich auf die Kirche als Ganze. Später kam die Deutung "Heilige im Himmel" hinzu und damit die "Gemeinschaft der irdischen Kirche mit der himmlischen Kirche". Wie der Volkskundler Alois Döring in seinem Buch "Heilige Helfer" ausführt, bestimmte anfangs sogar das Kirchenvolk selbst seine Heiligen, erst im 10. Jahrhundert hätten die Päpste dieses Recht übernommen und bis heute fortgeführt.
Laut Döring werden seit dem 16. Jahrhundert Heiligenlisten geführt, die Ausgabe des "Martyrium Romanum" von 2004 enthalte insgesamt 6.650 Selige und Heilige. Dennoch wird an Allerheiligen auch jener Menschen gedacht, um deren Heiligkeit niemand weiß als Gott. Der Jugendkatechismus Youcat erklärt das so: "Zur Gemeinschaft der Heiligen gehören alle Menschen, die ihre Hoffnung auf Christus gesetzt haben und durch die Taufe zu ihm gehören, ob sie bereits gestorben sind oder noch leben. Weil wir in Christus ein Leib sind, leben wir in einer Himmel und Erde umspannenden Gemeinschaft."
Die weite Definition des Heiligenbegriffs ist eine gute Überleitung zum Allerseelentag am 2. November. Erfunden und eingesetzt wurde dieses Fest 998 von Abt Odilo von Cluny – zunächst in allen ihm unterstellten Klöstern, später in der ganzen katholischen Kirche. Gebete, Fürbitten und Eucharistie an Allerseelen sollen dazu beitragen, dass die Toten Vollendung in Gott finden.
Eigentlich erst an diesem Tag werden die Gräber auf den Friedhöfen von den Angehörigen geschmückt. Die Katholiken entzünden das sogenannte Seelenlicht als Symbol für das Ewige Licht, das den Verstorbenen leuchtet. Blumen und grüne Zweige stehen stellvertretend für die Hoffnung. Bei einer feierlichen Prozession durch die Friedhofsreihen segnet der Priester die Gräber.
Gemeinschaft von Lebenden und Verstorbenen
Da viele dieser Riten schon ab dem Nachmittag des 1. November gepflegt werden, besteht die Gefahr, dass Allerheiligen nur auf das Totengedenken reduziert wird. Andererseits gibt dies auch die Chance, die Kirche in österlicher Hoffnung als zur Auferstehung berufene Gemeinschaft der Lebenden und Verstorbenen zu sehen.
Die Kirche feiert die beiden Feste im Totenmonat November aus der Überzeugung, dass durch Jesus Christus eine Verbindung zwischen Lebenden und Toten besteht. Dem Volkskundler Alois Döring zufolge konfrontiert Allerseelen "die Gläubigen mit dem Tod, besonders mit der Lehre von der Läuterung der armen Seelen im Fegefeuer". In der kalten Jahreszeit drücken beide Feste den Glauben an die Unvergänglichkeit der Heiligenwelt im Kontrast zur Vergänglichkeit der Natur aus.
Eher unfreiwillig stehen die Feste in Kontakt mit altem heidnischen Brauchtum zum Winterbeginn. Auch der Vorabend von Allerheiligen, der als Halloween begangene "all-hallows-evening", hat kaum mehr mit der Vorabends-Feier des Festes zu tun, sondern eher mit Grusel-Verkleidungen und Süßigkeiten.
Rund um das Hochfest Allerheiligen mit feierlichen Gottesdiensten und dem Allerseelentag als Gedächtnis aller Verstorbenen gibt es regional verschiedenes Brauchtum. Während es quasi überall Gräberbesuche gibt, können an Allerseelen auch Armenspeisungen, Spenden, Lichterbräuche und Andachten dazu gehören. Der gemeinsame Nenner ist, dass Katholiken für die Seelen der Verstorbenen beten und für sie gute Taten vollbringen. Ab mittags an Allerheiligen bis zum 8. November können Gläubige täglich einen vollkommenen Ablass für die Verstorbenen gewinnen.